- 4/2007
- Die deutsche Schrift
Sütterlinstube Ansgar – Brücke zwischen gestern und heute
Im Jahr 1996 bildete sich im Hamburger Altenzentrum St. Ansgar eine Gruppe
von Ruheständlern, welche sich Gedanken über die Zukunft unserer schriftlichen
Überlieferungen machten. Unter den damals 65 bis 95jährigen fanden sich jene
zusammen, die die deutsche Schreibschrift noch in der Schule gelernt hatten.
Sie können jene Zeitzeugnisse wieder zugänglich machen, die von heutigen
Generationen kaum mehr gelesen werden können. Übertragen wird alles mögliche,
von familiären Belegen wie Poesiealben, Briefen und Tagebüchern, bis hin zu
amtlichen Dokumenten, wie Chroniken oder Urkunden. Auch zur Erschließung von
Quelltexten für Forschungsarbeiten an Hochschulen (z. B. für Dissertationen)
werden die Übertragungen durch die Sütterlinstube gern in Anspruch genommen.
Aufträge erhält die Sütterlinstube aus der ganzen Welt, seit für sie eine
Heimseite im Netz eingerichtet wurde. Die Auftraggeber kommen nicht nur aus dem
deutschen Sprachraum und sind ebenso verschieden wie die Dokumente, die sie
schicken. Das macht die Arbeit so interessant, denn ob der Bandbreite der
Angelegenheiten wird es nie langweilig. Verpflichtungen gibt es für die
Mitglieder nicht. Jeder arbeitet in dem Maße, wie es ihm gesundheitlich möglich
ist und Freude bereitet. Da die Übertragungen ausschließlich ehrenamtlich
übernommen werden, können die Auftraggeber statt einer festgelegten Zahlung eine
freiwillige Spende leisten. Diese unterstützt den Förderverein des
Altenzentrums.
Auf den Kenntnissen, die aus den Übertragungen hervorgehen, fußen auch
gelegentlich Veröffentlichungen und Ausstellungen der Auftraggeber. Es gab
bislang fünf Bücher, die aus der Arbeit der Sütterlinstube hervorgingen,
darunter die Tagebücher eines früheren Hamburger Schulrats aus den Jahren 1939 -
45, die als Unterrichtsmaterial an einigen Hamburger Schulen verwendet werden.
Sogar ein deutsch-jüdisches Versöhnungsdrama konnte entstehen, das in
Philadelphia (USA) uraufgeführt wurde. Mittlerweile ist die Mitgliederschaft
angewachsen, so finden sich Anhänger verschiedenen Alters im gesamten
norddeutschen Raum. Das soll aber nicht so bleiben. Das Wissen soll
weitergegeben, neue Sütterlinstuben im gesamten deutschsprachigen Gebiet
gegründet werden. Für die Wissensvermittlung wurde auf Grundlage der
„Schreibschule” von Helmut Delbanco an der Volkshochschule in Norderstedt ein
Lehrgang zum Erlernen der deutschen Schrift ausgearbeitet und schon mehrfach
durchgeführt. Die Teilnehmer sind zwischen 25 und 60 Jahren alt, was etwas
Hoffnung macht. Auch Schulen werden für Vorträge und Schreibkurse besucht. Zur
Gründung weiterer Sütterlinstuben nach dem Hamburger Vorbild werden
entsprechende Einrichtungen wie Altenzentren, Altenkreise von Kirchengemeinden,
Museen, Archive und Einzelpersonen gesucht. Auch wer die deutsche
Schreibschrift noch nicht so gut beherrscht, ist trotzdem willkommen, denn das
Lesen lernt man am besten an den Eigentümlichkeiten der Handschriften. Wer
etwas zum „Übersetzen” hat, selbst mitarbeiten möchte, Lehrgänge geben kann
oder gar eine neue Zweigstelle gründen will, wende sich an die nachstehende
Netzseite, wo man gerne Auskunft erteilt:
Franz Neugebauer